Artikel vom 26.08.02 aus dem Trostberger Tagblatt
Traunreut.
Etwa 500 Deutsche, großteils aus Traunreut und Umgebung, kehrten kürzlich in ihren alten Heimatort
Weidenthal im Banater Bergland zurück und feierten dort das 175-Jahr-Jubiläum der Gründung des
Dorfes.
Das Fest im über 1000 Kilometer entfernten Ort wurde von Deutschland aus organisiert und gelang
laut Teilnehmern bestens.
1828 waren zahlreiche Familien aus den Notstandsgebieten des nördlichen Böhmerwaldes um die Orte
Klattau, Neuern und St. Katharina herum dem Ruf des österreichischen Kaisers Franz gefolgt und in
das Banater Bergland gezogen. Dort wurden sie in fast 1000 Meter Höhe in einer unzugänglichen,
lebensfeindlichen Urwaldlandschaft angesiedelt. So entstanden die "Böhmerwalddörfer" Wolfsberg,
Lindenfeld, Alt Sadowa und eben auch Weidenthal, heute Brebu Nou. In unsäglicher Mühe gelang es
diesen Böhmerwäldlern, Teile des Urwaldes zu roden und eine kleine Landwirtschaft aufzubauen, die
fast nur der Selbstversorgung diente und auch diese nicht immer gewährleisten konnte.
Nach heutigen Begriffen lebten sie in großer Armut. Zumindest ging es ihnen viel schlechter als
den reichen "Schwabenbauern" im Banater Tiefland, die gelegentlich in die Bergdörfer kamen, um
dort frische Luft zu schnappen, wie man zu sagen pflegte. Der karge Boden lieferte Kartoffeln,
ein wenig Roggen, viel mehr nicht. Andere Nahrungsmittel und auch Viehfutter tauschte man ein.
Aber dazu mussten die Pferdefuhrwerke sehr lange Strecken zurücklegen, die über beschwerliche,
holperige Wege aus dem Bergland hinausführten.In der Wald- und Holzarbeit konnten die Männer ein
wenig verdienen. Und Holz oder Holzkohle wurden gebraucht, seit sich in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts in den Tälern um Reschitz Eisenindustrie zu entwickeln begann. Aber Reschitz
liegt etwa 40 Kilometer entfernt. Überleben konnten die Menschen in dieser Abgeschiedenheit nur,
weil sie eine funktionierende Gemeinschaft bildeten. Nachbarschaftshilfe ging über alles.
Das kirchliche Leben bestimmte den Jahreskreislauf und die Bräuche. Dieses Gemeinschaftsleben
blieb weitgehend intakt bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Auch den typischen Böhmerwalddialekt
haben die Bewohner der Dörfer bewahrt.Über Generationen hinweg waren sie Untertanen des Kaisers
im fernen Wien. Beim Zerfall der Doppelmonarchie 1918 wurden sie mit großen Teilen des Banats dem
rumänischen Staat zugeteilt. Nachdem Rumänien sich im Zweiten Weltkrieg auf die Seite der Gegner
Nazideutschlands geschlagen hatte, unterlagen die Banater wie die Siebenbürger auch der Diskriminierung,
der Deportation in die Sowjetunion.
Die Schikanen wurden gegen Ende der kommunistischen Ceausescu Ära unerträglich. So gingen viele
weg in den Westen. Seit 1991/92 lebt kaum noch ein Deutscher in Weidenthal, das über 200
Hausnummern (Hofnummern) zählt. Viele Weidenthaler suchten und fanden eine neue Heimat in
Traunreut und in dessen weiterem Umland. Das stark ausgeprägte Zusammengehörigkeitsgefühl ließ
sie auch in der neuen Umgebung die räumliche Nähe suchen. Manche Aussiedler haben ihre Häuser in
Rumänien behalten oder zurückkaufen können. Die Urlaubszeit verbringen sie "dahoam", basteln und
bauen an ihren Häusern, um sie so zu erhalten - für eine sehr ungewisse Zukunft freilich. Weidenthal
und Wolfsberg sind noch besiedelt, Lindenfeld ist bereits weitgehend verfallen.
Von Deutschland aus haben die Weidenthaler nun über 1000 Kilometer hinweg in einer bewundernswerten
Gemeinschaftsanstrengung das Dorffest in ihrer alten Heimat organisiert. Die kirchlichen Feiern wurden
von Pfarrer Schlichting aus Traunreut und Pfarrer Hoffmann aus Tacherting gestaltet. Die politische
Gemeinde Traunreut war durch Kulturreferent Reinhold Fuchs vertreten. Die meisten der zahlreichen
Autos in den Dorfgassen trugen das Kennzeichen "TS". Die Gedenkfeiern begannen am Friedhof, der
übrigens gut gepflegt wirkt. Hier gedachte man der Ahnen und ihrer Pionierleistungen. Ein langer
Zug bewegte sich von da in das Dorf zum Kriegerdenkmal. Die Ansprachen wie auch die zahlreichen
Lieder waren von Wehmut durchzogen.
Viele Weidenthaler hatten mit den Tränen zu kämpfen, auch manch
einer von den strammen Feuerwehrmännern, die den Kern der Dorfgemeinschaft bilden.Der Sonntagvormittag
wurde in der festlich geschmückten Kirche, die die Besucher gar nicht fassen konnte, eröffnet. Die
beiden Pfarrer zelebrierten den Gottesdienst gemeinsam. Pfarrer Schlichting äußerte in seiner Predigt
die Vermutung, dass die Vorfahren der heutigen Weidenthaler oftmals verzagt und kleingläubig gewesen sein
dürften angesichts des schweren Schicksals; aber sie hätten Zuversicht und Lebenskraft aus dem Glauben
entwickelt. Wenn das anhalte, werde Weidenthal auch in Zukunft nicht untergehen.Nach dem gemeinsamen
Mittagessen im geräumigen, bis auf den letzten Platz besetzten Kulturhaus entfalteten verschiedene Gruppen
ein abwechslungsreiches Kulturprogramm. "Lebende Bilder" mit Szenen aus dem dörflich-bäuerlichen Leben,
konzipiert und geleitet von Maria Lohr, wechselten mit Chorliedern, Instrumentalstücken und einem lustigen
Sketch. Der Abend war dem geselligen Beisammensein vorbehalten.Den Hauptanteil an der Programmgestaltung,
deren Vorbereitung sich über Monate erstreckte, hatten:
Maria Lohr (Matzing),
Franz Neumayer (Tacherting)
und Josef Irlweg (Trostberg).
Aber ohne die zahllosen tüchtigen, engagierten Helfer wäre das große Fest gar nicht möglich geworden.
Irlweg meinte in einer Ansprache, die Dorfgemeinschaft Weidenthal habe in diesen Tagen Auferstehung
gefeiert.Ob es ein derartiges Fest jemals wieder geben wird, muss offen bleiben. Wenn man aber
berücksichtigt, wie viele junge Menschen daran aktiv beteiligt waren, kann man es zumindest hoffen.
Traunreut 26.August 2002
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